Leseprobe

Bitte ein Pils

 

Kneipenwirt, ja Kneipenwirt, das wird man, wenn man überhaupt nichts wird …


Diesen Spruch kann ich nicht unbedingt bestätigen.


Ich finde, dieser Beruf ist einer der härtesten überhaupt. Wo sonst muss man im Schichtdienst schnell und zuverlässig Leistung bringen, für wenig Geld und meistens unter anstrengenden Bedingungen? Wo muss man arbeiten wenn alle anderen frei haben? Da gibt es kein Wochenende mit der Familie und man hat kaum Freunde. Dafür hat man Rückenschmerzen vom vielen Stehen und Fußschmerzen vom vielen Gehen. Wo kann man kann sich den Stresspartner täglich neu aussuchen? Ob mit dem Nachbarn, betrunkenen Gästen, Beamten, Vermietern, Handwerkern, übereifrigen Politessen, Lieferanten, Brauereien, Knebelverträgen, Wirtschafts- und andere Krisen, Kaufschwäche der Gäste, Systemgastronomie und, und … da kommt garantiert keine Langweile auf. Jeder Wirt, der sein Lokal und seine Gäste mag, sollte einiges beherrschen: Er sollte gebildet sein, um mit ihnen diskutieren zu können. Oder gehen sie gerne zu einem Deppen, der nicht einmal weiß, wo Grönland liegt und bei Jauch in der zweiten Runde ausscheidet?
Er sollte rund um die Uhr arbeiten, aber trotzdem immer gut aufgelegt sein und immer feiern können. Wer geht schon gerne zu einem Miesepeter Bier trinken?
Auch sollte er handwerklich so ziemlich alles können, damit meine ich nicht nur, um viel Geld zu sparen und seinen Betrieb funktionstüchtig zu erhalten, sondern auch das Fingerspitzengefühl für brisante Situationen und vor allem, um immer da zu sein, wo Not am Mann ist. Wenn er auch noch die Gabe besitzt, mit dem "schwachen Geschlecht" zurecht zu kommen und trotz dem Stress ab und an ein paar charmante Sätze an die Frau bringt, dann fehlt eigentlich nur noch eines: Kenntnisse in der Betriebswirtschaft, um seine eigene Bilanz lesen zu können.


Bewusst habe ich bisher das Thema Alkohol weggelassen, da er einen wichtigen Stellenwert in meinem Leben einnimmt, immerhin bestreite ich damit meinen Lebensunterhalt. Man sollte vorsichtig sein mit der Dosierung, um nicht dem Alkoholismus zu verfallen und immer daran denken, dass er das Urteilsvermögen trübt, die Sinne benebelt und einen in Versuchung bringt, Dinge zu tun die man später bereuen könnte. Wie sagte mir neulich ein Gast: "Ich trinke viel, von Berufs wegen!" Er ist Bauarbeiter und schafft irgendwo in der Nähe. Klar, die müssen trinkfest sein, sonst halten sie den Alltagsstress nicht aus oder was man sich sonst noch alles so einredet, wenn man Alkohol zu sich nimmt. Das kann in jedem Beruf passieren. Wir sind ein Volk von Trinkern, sagte Karl Mann neulich. Der muss es ja wissen, ist er doch der Chef einer "Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin" in Mannheim. Diese Tendenz der Bundesbürger mehr zu trinken, scheint an der Gastronomie im Moment vorbeizugehen, sind die Umsätze seit Jahren eher rückläufig. Die Mehrheit der Gäste geht vernünftig mit ihrer Gesundheit um und hält sich die Flasche erfolgreich vom Leibe.


Was das alles mit dem Buch zutun hat? Viel!


Denn Alkohol lockert bekanntlich auf, löst Hemmschwellen wie Moral, Anstand und treibt einen zu unüberlegten Taten, die man am nächsten Morgen bereut. Oder auch nicht! Hauptsache etwas erleben, raus aus dem grauen Alltag, weg mit dem lästigen Moralempfinden, rein in die nächste Kneipe. Schließlich müssen die autorisierten Alkohol - Dealer, wie ich, auch von etwas leben und manchmal auch noch etwas erleben. Da kann es passieren, dass man(n) oder Frau eines Tages aus dem Rausch erwacht und merkt, dass man mehr anständige Rotweine kennt als ebensolche Menschen.


In meiner alten Heimat, im real existierenden Kommunismus, also in der Mangelwirtschaft Rumäniens, gab es kaum Lebensmittel zu kaufen, dafür aber zwanzig Sorten Wodka in den Regalen. Wahrscheinlich verschwand damit das Hungergefühl. Dafür brauchte man keine Lebensmittelmarken. Deshalb wohl hatten die meisten Konsumenten kein großes Vertrauen in den staatlich verordneten Suff und brannten sie sich den Stoff selber. So war jeder zweite ein Hobbyschnapsbrenner oder Winzer. Wenn man im Herbst durch Hermannstadt spazieren ging, kam man meistens beschwingt zu Hause an. Überall musste man das Feuerwasser kosten und dem Schwarzbrenner seine Meinung über Qualität und Geschmack dazu sagen. Da wurde manchmal schnell mal ein Schwein oder ein Federvieh geschlachtet, die Geige gestimmt und die Feier konnte beginnen. Da die Leute im tristen Alltag nichts zu lachen hatten, fanden sie immer einen Grund zum Feiern und soffen sich das Leben schön.


Ein entfernter, lebenslustiger Verwandter von mir, feierte Tag und Nacht. Deshalb wurde er auch auf alle Feste der Stadt eingeladen, denn er war eine sogenannte "Stimmungskanone". Er hatte in einem Kino einen Film mit Fred Astaire gesehen, ich glaube es war Königliche Hochzeit, in dem der gute Fred die Wand hochgesteppt ist und an der Decke Kopf über ein wahres Feuerwerk abtanzte.
Da mein entfernter Verwandter sich diesen Film zum Leitmotiv seines Lebens gemacht hatte, versuchte er es auch, kam aber über die Tischplatte nicht hinaus. Die verließ er oft nach einigen fröhlichen Tänzen, dann auch meistens Kopf über. In dem Film hielt Fred Astaire ab und zu ein Glas in der Hand und mein entfernter Verwandter meinte, das wäre cool und zeitgemäß. Tief beeindruckt steppte er mit seinen Zauberschuhen in der Stadt herum und versuchte so oft wie möglich auch ein volles Glas in der Hand zu halten. Wenn das Glas leer wurde, tanzte er und siehe da - es wurde wieder voll. Nach ein paar Jahren als "Tanzbär" versuchte er irgendwann wieder in den normalen Alltag reinzukommen, doch es klappte nicht mehr. So tanzte er dann irgendwann die Choreographie von Astaires Filmpartnerin Ginger Rogers, da die von Fred in der Stadt und auf den vielen Privatfesten schon "abgelutscht" war. Genauso war dann auch irgendwann seine Leber. Um sie nicht ganz zu verlieren, ging "der lustigste Mensch der Stadt" in ein Krankenhaus und begann eine Entzugstherapie. Leider umsonst. Er wurde zwar als geheilt aus dem Krankenhaus entlassen, ging aber schnurstracks ins erste Wirtshaus. Da wollten alle Gäste natürlich, dass er wieder tanzt und gute Stimmung macht. So trank er ein Liter Wein ohne zu schlucken auf ex aus, stieg auf einen Tisch, legte einige gazellengleiche Tanz- und Steppeinlagen hin, fiel dabei vom Tisch und landete wieder in der Entzugstherapie. Diesmal tauschte er die Schuhe gegen eine Ehefrau ein, liebe Freunde der guten Stimmung, denn mein entfernter Verwandter lernte bei diesem zweiten Entzug seine spätere Partnerin kennen: Sie hat mein Leben um mindestens zehn Jahre verlängert, gestand er mir in einem schwachen Moment. Vielleicht deshalb trank er nie wieder Alkohol. Wenn er nicht rückfällig geworden ist, lebt er heute noch. Wenn nicht, dann steppt er jetzt im Trio mit Fred Astaire und Ginger Rogers im Himmel …


Mich hatte das alles sehr beeindruckt und ich wollte als Jugendlicher nie steppen, heiraten oder Alkohol trinken. Dann las ich irgendwann ein Buch von einem gewissen Charles Bukowski. Dieser hat die Fähigkeit, genial einfach und ohne Verlust an Tiefe die wesentlichen Dinge haargenau auf den Punkt zu bringen: 'Hey, motherfucker, how ya doin'?' Die Säufergeschichten des Bar-Poeten haben mich beeinflusst und ich wollte damals auch so werden wie dessen Hauptfigur Hank Chinaski, habe mein Ziel bisher (glücklicherweise) noch nicht erreicht. Bis dahin höre ich mir weiter die hundertfach erzählten Tresengeschichten an und frage mich, ob man den Menschen hinter ihren Bieren Glauben schenken kann …
Im Namen des Wahnsinns: Prost, allen Scheinmoralisten.


Ein Pils? Kommt sofort!


Kneipenwirt, ja Kneipenwirt, das wird man, wenn man überhaupt nichts wird.
Bevor man jahrelang umsonst studiert, steht man besser hinterm Tresen und wird Kneipenwirt…