Vorwort von Nick Jackob

Kneipen- und andere Geschichten


Wissen Sie, wo Masonmagyarovar-Nyuagati liegt? Nein? Ich weiß es auch nicht. Wolfgang Klein weiß es, und mit seiner neuesten Sammlung von Erzählungen, Anekdoten und Geschichten teilt er uns auf seine schnoddrig-scherzhafte, mal abfällig-ironische, mal heißblütig-schwatzhafte Weise mit, was er noch so alles weiß und was er darüber hinaus in seinem Leben mit den Kindern und der Allerbesten, auf Reisen und hinter der Theke, im Umgang mit Handwerkern und Behörden alles gelernt hat. Man ist zwar als geübter Leser und Kritiker seiner Werke einiges gewöhnt, wird aber dennoch immer wieder überrascht: Gerade eben entführt der Autor uns in eine herrlich einfältige Pastorale, schmeichelt uns durch Impressionen aus dem siebenbürgener Landleben und dem wildromantischen Rumänien, schon werden wir von „Günthers“ scheinbaren Kopulations-Versuchen mit dem Dorfesel Mutu überrascht.


Es sind solche Kontraste, die Wolfis Geschichten so lesbar und unterhaltsam machen, man wird allenthalben überrascht: Während im Radio Kübel von schwülstiger Ehrerbietung über den Titan der Titanen, Diktator Ceaucescu, vergossen werden, erzählt Istvan (der Rinderhälften durch die Pampa kutschiert) dem Erzähler, wie er es auf der Waschmaschine Marke Albalux mit seiner rechtlich Angetrauten trieb – in geradezu absurder Komik versinkt die Sozialistische Republik Rumänien im wollüstigen Schleudergang.


Außer überraschende Kontraste verwundern immer wieder überraschende Begegnungen: Mitten in der Sahara trifft der Mainzer Kneipenwirt seinen Klassenkameraden aus rumänischen Jugendtagen – ein Beispiel für die wundersamen Wendungen in Wolfis Geschichten. Wen wundert´s, wenn er angesichts der Fülle seiner in diesem und seinen anderen Büchern erzählten Erlebnisse solche Begebenheiten geradezu beiläufig erwähnt, nach dem Motto: Seht her, Kinder, das alles ist mein Leben, was haltet ihr davon?


Neben Überraschendem und Kontrastreichem begegnet der Leser auch liebgewonnenen und dennoch nicht minder zutreffenden Klischees: Wer einmal mit dem ordinären Durchschnittsamerikaner konfrontiert wurde, kann über Wolfis Anekdote mit John, der ihn auf Costa Rica fragte, ob Goethe denn noch lebe, aus vollem Herzen lachen. Der Autor der „Glocke“, entgegnet der schlagfertige Wirtshausphilosoph, sei nach Leipzig gezogen und arbeite nun in der Stadtbibliothek.


Dieses Buch ist noch absurder, noch komischer, noch verwirrender in seiner Vielfalt. Es schlägt härter zu und trifft genauer ins Mark: Witzig und für jeden Betroffenen genau nachvollziehbar sind die Schilderungen der multiplen Wirkungen, die Fluglärm auf eine ganz normale Familie haben kann; rührselig und doch bewegend ist das Lamento über den Verlust der zwischenmenschlichen Nähe durch die Verödung der Innenstädte, den Niedergang der kleinen Händler und Tante-Emma-Läden; beifallheischend und zutreffend sind die Polemiken gegen saturierte Managerbonzen, bornierte Staatsdiener (insbesondere Politessen), unverschämte Mitarbeiter ehemaliger und nunmehr privatisierter Staatsbetriebe (immer feste drauf auf die Post!) und arbeitsscheue Handwerker. Ah, und überhaupt: Handwerker! Stadtwerke! Oder noch schlimmer: Handwerker bei den Stadtwerken! Telefonistinnen und „Servicemitarbeiter“! Meines ganz persönlichen Erachtens bekommem in diesem Buch genau die Richtigen ihr Fett weg – was Wolfi beschreibt, hab ich so oder auch ähnlich erlebt, er erspart mir die Arbeit, mich selbst an den Rechner zu setzen und mich über Lufthansa, Post, Stadt Mainz und Wasweißichnichtalles aufzuregen. Und in der Tat hat er in solchen Passagen stets etwas von einem sarkastischen Querulanten, von einem Menschen, der einfach zu oft von vermeintlichen Autoritäten schikaniert worden ist, um sich darüber anders als in scherzhaft-überlegener Weise zu belustigen.


Daneben finden sich wieder gewohnt herrliche Sauereien: Hauskater Tigger – der mit dem felinen urologischen Syndrom – überfällt in einem Anfall von romantischen Wallungen einen Igel; wir lernen, wohin Kommunikationsstörungen führen können, was passiert, wenn man sich nicht über den Gebrauch von Personalpronomina einigen kann (der Patient vermutet hinter der ehrlichen Fürsorge der Krankenschwester sexuelle Avancen – sehr komisch!); wir erfahren, wie Verliebtheit gradewegs in die Hände der Anonymen Alkoholiker führen kann …


Auch diesmal ist wieder für jeden etwas dabei, es gibt viele Gelegenheiten zu lachen, sich in den Strudel der rasenden Plauderei ziehen zu lassen, sich in Solidarität zu erregen oder erstaunt den Kopf zu schütteln. Ein Resümee? Lieber nicht. Als Schluss eher der verwundert-bewundernde Ausruf: Was der Mann alles zu erzählen hat!