Vorwort von Nick Jackob

Vorwort – Episode 4


Hochsommer in Deutschland. Die Nation badet. Ob im wetterwendischen Deutschland oder im waldbrandversehrten Süden. Hochsaison für Sonnenbrand, Fußpilz, Schwimmbäder und Biergärten. Ganz Mainz schwitzt und planscht. Ganz Mainz? Nein, nicht ganz Mainz. Die Anbieter klassischer Gastronomie schwitzen nur – für planschen und dergleichen Verlustierungen steht niemandem der Sinn. Seitdem nicht nur Biergärten und Badeanstalten den Kneipen und Restaurants Konkurrenz machen, sondern die neuerdings auch ins Kraut schießenden Rhein-Strände um Besucher buhlen, gehen die Gastronomen am Stock. Da helfen nicht mal Sitzplätze im Freien – denn im anwohnerfreundlichen Mainz ist vor Mitternacht Schluss mit Lustig. Und wer will schon auf dem Höhepunkt der Party in die stickigen Weinstuben und Bierkeller verbannt werden, weiland der Rest am Strand feiert?


Sie haben Grund zum Klagen, die Gastronomen. Alternativen? Happy Hour? Bier zum halben Preis? Cocktail-Börse? Ein eigener Strand? Oder besser den Laden dichtmachen und selbst in die Sommerfrische fahren? Die meisten Inhaber von Stuben, Schänken, Kaschemmen, Clubs, Bars und Kneipen werden wohl ausharren, versuchen, die „schlechte Jahreszeit“ zu „übersommern“, irgendwie die Zeit totschlagen. Und was macht Wolfgang Klein, Mr. Quartier, Ikone der hermannstädter Subkultur in Mainz, selbsternannter Journalist und Storyteller? Er trinkt einen Jägermeister, streicht über seinen Bart, jammert kurz (oder auch mal lang) ein tränenersticktes „Ach, Kinder!“ hin und schreibt ein Buch. Wahrlich, eine lobenswerte, weil kreative und der psychischen Stabilität durchaus förderliche Kompensationsbeschäftigung. Die Flaute am Tresen treibt die literarischen Ambitionen zur Blüte. Gut so.


Nun liegt es also vor, das vierte Buch von Wolfgang Klein, und es ist – soviel sei vorweg gesagt – ein typischer Klein. Emotional, schillernd, phantasiereich, deftig, versponnen, unterhaltsam, irgendwie durchgeknallt und doch zugleich voll von wichtigen Themen. Über den Stil und die Erzählweise von Wolfgang Klein habe ich andernorts geschrieben, auch seine Heimat, seine literarische Entwicklung, seine verschiedenen Erzählfelder und die Moral seiner Geschichten wurden in den vier zuvor von mir verfassten Vorworten hinreichend gewürdigt. Dazu ist alles gesagt. Wer Wolfgang Klein und seine Bücher liebt, wird auch hier wieder auf seine Kosten kommen.


Daher weiche ich an dieser Stelle von meiner bisherigen Vorgehensweise ab und schreibe nicht über das Buch, nicht über Wolfi und sein Leben... Ich schreibe über seine Kneipe, die Menschen, die dort „leben“ und die Bedeutung des Quartier Mayence für die Stadt Mainz und für mich. Seit meinem 16 Lebensjahr bin Besucher des Quartier Mayence. Bis vor ein, zwei Jahren war ich wohl das, was man eine Stammgast nennt: Mehrmals wöchentlich am Tresen, hier ein Colabier oder ein Pils, dort ein Kaffee, ab und an einen Sambucca oder ein Jägermeister. An den meisten Tischen hat man Bekannte, egal wann man kommt – man trifft immer jemanden für ein Gespräch oder einen Absturz. Zugegeben, in den letzten zwei Jahren hat sich beruflich und privat einiges verändert, es fehlt die Zeit zum Kneipengang, aber im Herzen und an den großen Feiertagen (Fastnacht, Johannisfest, Weihnachten etc.) ist man immer dabei.


Als ich das Quartier Mayence das erste Mal betrat, war Wolfi noch nicht (bzw. nicht mehr) aktiv involviert. Der erste Besuch war überdies ein kurzer, da damals noch Carsten, den ich später regelrecht lieben lernte, den Eingang und Ausschank bewachte und mich doch sehr milchbubig daherkommenden Teenager nicht in den Laden lassen wollte. „Du bist noch zu jung, Kleiner. Komm andermal wieder.“ Ich zeigte ihm meinen Schülerausweis und durfte bis 22 Uhr bleiben. Keine Minute nach zehn flog ich raus. Herzlich aber konsequent. Was ich aber in diesen wenigen Stunden mitbekam, reichte aus, um mich eine ganze Jugend lang an das Quartier zu ketten. Damals konnte man sich noch mit 10 Mark betrinken (drei kleine Pils und zwei Sambucca) und es gab Mädchen in Hülle und Fülle. Die waren zwar nicht an mir interessiert – aber anschauen half ja auch schon. Die ersten Jahre waren einfach wie im Paradies – und von Jahr zu Jahr wurde es besser: Man wurde älter, man durfte länger bleiben, die Bedienungen wurden zu Freunden, man durfte (und konnte) mehr trinken und es bildete sich so etwas wie ein „Wohnzimmer-Gefühl“. Klassiker waren das traditionelle Schach-Spiel am Sonntag Mittag, mit Kaffee und Kippen, die schlimmen Abstürze in der Abi-Zeit, der Stammtisch mit QM-Legenden (die Gemeinten wissen, wovon ich spreche), die ungezählten Tresen-Sitzungen bei Boris und Holler im Keller, die open-end Parties am Samstag Abend mit ständig wandelnden Freundeskreisen. In wenigen Läden wurde man so gern zum Stammgast und auch so gut als solcher behandelt. Hier mal ein Getränk für lau, bevorzugter Eintritt bei vollem Haus, viel viel Zuwendung vom Mitarbeiterstab. Aus einem Wohnzimmer-Gefühl wurde ein Familien-Gefühl.


Das Quartier hat in all seinen Jahren seinen Charakter bewahrt. Es ist offen für alle Subkulturen und hat doch etwas Siffig-Alternatives. Es beheimatet Teenies, Studies und die Generationen 30+ und 40+. Auch ältere Semester gehören zum Stamm. Das Quartier ist eine Mainzer Institution, das wie nur wenige andere Etablissements der Herzkammer der Mainzer Abendkultur zugerechnet werden kann. Dass dies auch über die letzten Jahre so blieb, ist Wolfi zu verdanken, der den Laden in einer Situation übernahm, in der es weiß Gott nicht klar war, wie es weitergehen sollte. Allein dafür gebührt ihm der Dank aller. Es ist schön zu wissen, dass es den Laden noch gibt, in dem man seine ersten Liebesbeziehungen anbahnte, der da war, als man die ersten größeren Krisen hatte, in dem man sich nach dem Tod eines lieben Freundes genauso traf wie an Tagen, an dem einem die Wunder des Lebens widerfahren sind: nach einem Hochzeitsantrag, nach dem Wiedersehen lang vermisster Menschen, nach der Geburt eines Babys. An den Stühlen, Tischen und Gläsern des Quartier klebt (neben anderen Rückständen) für ganz viele von uns auch persönliche, individuell erlebte Lebensgeschichte. Und wenn man sich die Frage stellt, wohin man ginge, wenn man wieder allein wäre, nicht wüsste wohin, oder wenn man etwas zu feiern hätte – die Antwort wäre ganz klar: ins Quartier.


Was hat das nun alles mit Wolfis Buch zu tun? Im Grunde nichts – und doch viel. Es ist kein Zufall, dass eine wandelnde Geschichten-Maschine wie Wolfi diesen Laden betreibt und ihm einen Teil seines Charakters gibt. Und es ist auch kein Zufall, dass dieser Laden wiederum einen ganz wesentlichen Teil dieser Geschichten ausmacht. Und schließlich ist es kein Zufall, dass im kreativen Klima dieses gerade auch von Intellektuellen und Schwerstbegabten heimgesuchten Ladens, man denke beispielsweise an die legendären Auftritte des Speerwerfers und Heimat-Kabarettisten Rüdiger Saul, künstlerische Produkte, Gedichte, Zeichnungen und Bücher entstehen.


So möchte ich dieses ganz und gar „unvorwortige“ Vorwort mit einem Appell schließen: Gehet hin, und trinket alle davon. Ob Sommer oder Winter. Bleibet treu und gedenket Eurer schönen Erlebnisse dort. Und füllet Wolfi die Kassen, auf dass er zwar Geld genug hat, um Bücher zu schreiben, vielleicht aber vor lauter Arbeit gar keine Zeit mehr. Ich versuche jedenfalls, zukünftig wieder öfter von Weisenau aus in die Stadt zu kommen, um meinen Beitrag zur Kulturpflege der Stadt zu leisten. Und was das Buch selbst anbetrifft, dass auf den folgenden Seiten ausgebreitet wird – schauen Sie selbst. Sie werden sehen, es ist mal wieder ein richtiges Original. Wie der Autor selbst eine Liaison aus Mainz und Hermannstadt, Deutschland und Rumänien, Jugend und Erfahrung, ein Produkt von Hirn, Galle und Herz. Dazu ein Bier oder zwei, und das richtige Quartier-Feeling kommt auf.